Sonntag, 27. November 2016

Donna Clara und das Dynamometer



Das klingt nach einer Liebesgeschichte, nicht wahr? Doch in Wirklichkeit ist es eine technische Angelegenheit. Zugegeben nicht ganz emotionslos, aber eben doch keine postfaktische Geschichte, um mal einen zurzeit mediengängigen Ausdruck zu missbrauchen.

Die Geschichte begann mit einer Garage, die morste, genau genommen mit diesem Artikel hier. Nachdem ich die Pico Single alias kleine Schnapsnase von Palm Radio ausprobiert und an meinen Freund Bernd zur Observierung geschickt hatte, kam aus Kassel die Meldung, dass die Kleine nur schwer zu ihrer Mitte fand. Die Taste hatte keine eindeutige Ruhestellung.

Diese Nachricht entging nicht dem scharfen Auge von Hannes DL9SCO von Palm Radio. Natürlich wollte er wissen, was da schief lief oder gelaufen war.
Um es kurz zu machen: die Pico Single wurde durch Palm gegen eine aus neuster Produktion ausgetauscht.
Gleichzeitig versprach ich, die Pico Single in Zukunft nicht mehr Schnapsnase sondern Donna Clara zu nennen, sollte die Kleine doch noch beweisen, dass sie ihre exakte Mitte fand. Der Grund für die Namensänderung findet ihr - bei genauem Hinhören - im folgenden Lied:


Max Raabe vom Palast Orchester hat diesen uralten Schinken auf seine unnachahmliche Weise interpretiert:


Dieses Versprechen will ich halten:
Die Donna Clara alias kleine Schnapsnase hat es tatsächlich geschafft, ihre genaue Mitte zu finden, wie mir Bernd DK1DU versichert hat. Ein beruhigendes Resultat, denn Palm ist meines Erachtens - um einen gängigen Ausdruck aus der deutschen Politik zu verwenden - alternativlos.
Wer möchte in Zukunft schon eine der schweren Vollmetall-Tasten durch Feld und Wald oder gar auf Bergeshöhe schleppen? Und die Dinger, die man an einem fixen Platz direkt an die Elecrafts schrauben kann, sind unflexibel und in meinen Augen strunzhässlich. Die Palmen sind nicht nur federleicht und können mit ihren Magneten dort "angeklebt" werden, wo es dem OP passt, sie sind durch ihre Schildkrötentechnik auch optimal während des Transports geschützt. Ein wichtiger Punkt bei einem Präzisions-Instrument.

Doch genug der Reklame für Palm. Denn die Geschichte der Donna Clara ist noch nicht zu ende; es fehlt das Dynamometer.

Viele Telegrafisten bevorzugen nicht nur einen minimalen Kontaktabstand, sondern auch einen möglichst geringen Hebeldruck. Bernd gehört dazu, wie ich weiß, und ich ebenfalls. Der oder die Hebel der Tasten sollen sich so leicht bewegen lassen, dass fast ein Windhauch zu ihrer Betätigung genügen würde.

Doch was bedeutet das in Wirklichkeit, beziehungsweise in Gramm oder Millinewton ausgedrückt?
Ich muss gestehen, ich hatte keine Ahnung. Und ich weiß nicht, wie es anderen Telegrafisten ergeht. Vermutlich stellen viele ihre Tasten einfach nach Gefühl ein, wie ich das bisher auch gemacht habe.

Wie wird das bei einem Hersteller wie Palm Radio gehandhabt? Wie werden die Tasten vor der Auslieferung eingestellt?
Hier die Antwort von Hannes DL9SCO, nachdem er die Taste zum Austausch erhalten hatte:

Guten Abend liebe Freunde der magischen Klopfzeichen,

die PPS von Bernd (Antons Original-Taste) ist mittlerweile wieder bei mit gelandet und ich habe sie analysiert.

Das Dynamometer zeigte folgende Werte an: Rechs ca. 6 Gramm, Links ca. 10 Gramm.

Bei dieser Einstellung zentrierte das Schnapsnäschen in der Tat nicht mehr sauber, die 6 Gramm sind einfach zu wenig.

Normalerweise zentriert die PPS bei ca. 10 Gramm, deswegen legen wir unsere Einstellwerte etwas darüber (15 Gramm).

Damit haben wir etwas "Luft", denn auch hier gibt es eine gewisse Schwankungsbreite.

Bei der großen Schnapsnase sieht es anders aus, diese kann vermutlich ab ca. 5 Gramm sauber zentrieren, wir stellen aber 10 Gramm ein.

Hier nochmal zusammengefasst unsere Werte:

PPS: 15 Gramm

PP: 20 Gramm

PS: 10 Gramm

MP: 20 Gramm

Ich bin am überlegen, ob man nicht generell auch die Pico Tasten PP und PPS auf 20 Gramm einstellen sollte - diesen Wert haben wir vor Jahren bei den MPs festgelegt und damit eigentlich nie etwas Negatives gehört. Die ETM-Tasten waren übrigens früher genauso eingestellt, daran haben wir uns orientiert. Vielleicht kann Bernd seine PPS mal "hochdrehen" auf 20 Gramm und seinen Eindruck berichten.

So, das war's erstmal von hier, allerseits ein schönes Wochenende und mni 73 aus Ulm!

Hannes, DL9SCO
Aha, da taucht es also auf, das mysteriöse Dynamometer. Und zugleich auch die Antwort auf die Frage, was passiert, wenn der Kunde selbst und nach Gefühl an der Taste herumschraubt.

Keine Frage: ich musste auch so ein Dynamometer haben und das bereits vor Weihnachten. Der Zufall wollte es, dass ich auf ein Instrument stieß, das mir wohl bekannt war. Eine Federwaage der Marke Corex von der Firma Haag-Streit in Bern. Damit habe ich einmal in längst vergangenen Zeiten Relais von Telefonzentralen gerichtet.

 

Federwaage, Dynamometer, Gram Dial Gauge, es ist alles dasselbe: ein Instrument, mit dem man kleine Kräfte messen kann, die zum Beispiel auf einen Hebel oder einen Kontakt wirken.

Auch die Corex trat, wie bereits die Palm Pico Single und die Pico-Base aus der Morsegarage, ihre Reise nach Kassel an. Denn dort, bei den Funkamateuren e.V. treffen sich jeden Montag XYL und OM zum Erfahrungsaustausch, zum Messen und Basteln, die Erfahrung mit Tasten haben. Im SOTA-Einsatz unter anderem. Genau das richtige und kritische Gremium um solche Dinge zu erforschen.
Diese Damen und Herren müssen keine Rücksicht nehmen auf Anzeigekunden und Spezis. Da werden keine Fakenews (früher Ente genannt) produziert um wieder ein Wort zu verwenden, dass zurzeit von den Medien wie eine Sau durchs Dorf getrieben wird ;-)

Aber lesen wir einfach mal, was Bernd zu der ganzen Story meinte, nachdem er die Corex erhalten hatte. Seine Erfahrungen decken sich mit den meinen. Hier seine Email dazu:
Liebe Tastendrücker,
das hätte ich nicht gedacht: Meine Tasten habe ich in der Regel knapp und ganz leicht eingestellt. Vom Stationstisch funke ich am liebsten mit Begali Sculpture (Doppelhebel) oder mit HST (Einzelhebel). Knapp und leicht, damit ich ohne Kraft und lange Wege auch bei flotterem Tempo ohne große Anstrengungen durch das QSO komme. Das sei so leicht dachte ich, dass ein Windstoß gleich einen CQ-Ruf auslösen könnte. Zwei bis drei Gramm Tastendruck hatte ich mir vorgestellt. - Weit gefehlt!
Dann habe ich mal gemessen: So zwischen 13 und 18 Gramm! - An allen Tasten. Mindestens. Bei den kleinen Minis und superkleinen Picos von Palm und auch bei den Großen. Da habe ich aber gestaunt. Die Unterschiede zwischen den Tasten waren nicht groß. Wohl aber die Unterschiede zwischen Punkt- und Strichseite. Da, wo es ging hatte ich mir für die Striche überall einen höheren Druck eingestellt. Ist das eine dumme Angewohnheit oder schon Marotte? Mit der Waage jedenfalls habe ich das korrigiert und siehe da, es stellt sich ein neues aber gutes Gefühl beim Geben ein.
(Bei der Bug (Viproplex) ist das anders: auf der Strichseite hat sie 30 und auf der Punktseite 15 Gramm. Klar muss die Punktseite auch mit dem nötigen Schwung genommen werden und weil Impuls= Masse x Beschleunigung ist, gelten bei einer Schlackertaste nicht nur an der Stelle ganz andere Voraussetzungen.)
Taste ist nicht gleich Taste: Paddles haben unterschiedliche Hebel-Geometrie, unterschiedliche Aufhängungen, Lagerungen, Drehachsen und -lager. Das macht für komfortables Geben jeweils unterschiedlichen Hebeldruck und -weg nötig. So kann man schon von daher nicht für alle Tasten einen optimal Druck empfehlen. Auch deshalb nicht, wenn man die Unterschiede möglicher Telegrafistenhände betrachtet.
Die kleine Federwaage ist wirklich eine tolle Sache. Großen Dank an dich lieber Anton. Sie geht geht ab Montag in die Runde. Die Waage. Ich bin schon gespannt und freue mich auf den gemeinsamen Erkennntnisgewinn.
Viele Grüße aus Kassel
(bei Baunatal)
Bernd, DK1DU
Damit ist die Geschichte der Donna Clara und dem Dynamometer zu ende. Endlich wissen wir Bescheid und stochern bei der Einstellung unserer Morsetasten nicht mehr im Nebel. Oft habe ich den Satz gehört:  "Ich muss mal meine Taste neu einstellen, sie tut nicht mehr richtig." Oft habe ich an meinen Tasten rumgeschraubt, weil ich den Eindruck hatte, die Einstellung sei nicht optimal oder die Taste tue nicht so wie sie sollte. Kein Wunder, wenn man nicht weiß, was man tut, wenn man nicht messen kann, was man einstellt. Den Kontaktabstand einzustellen war in der Regel kein Problem: Begali liefert zu seinen Tasten jeweils eine Fühlerlehre (Abstandslehre). Doch beim Tastendruck musste das Gefühl des OP herhalten. So wurden es halt mal links 5 Gramm und rechts 16 oder ähnlich und irgendwie blieb ein Gefühl zurück, irgendetwas stimme da nicht ganz.
Mag sein, dass es Menschen gibt, die mit ihren Fingern Kräfte im Millinewton-Bereich bestimmen können - ich gehöre nicht dazu. Und wie folgender Link beweist, trifft das wohl auch für die meisten anderen Telegrafisten zu:
http://www.morsekey.net/dynamometer.html

Vielen Dank an alle Beteiligten: an die Donna Clara, an Hansjörg HB9DWS, an Hannes DL9SCO, an Bernd DK1DU und an die XYL und OM der Funkamateure e.V.

PS. Also, liebe Tastendrücker und Freunde von Klopfzeichen: wenn euch ein Dynamometer über den Weg läuft: zögert nicht und reißt es euch unter den Nagel. Vorzugsweise mit 30 oder 50 Gramm Vollausschlag.


 

 

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